Eduard Rosenthal

I.I Der Rechtswissenschaftler

Eduard Rosenthal hat die politische und die rechtswissenschaftliche Geschichte Thüringens maßgeblich geprägt. Rechtsgeschichte und Staatsrecht gehören zu seinen Forschungsfeldern und auf dem Gebiet des Sozialrechts legt er mit seiner Arbeit Grundlagen.

Die Weichen für seine Laufbahn als praktisch orientierter Rechtsgelehrter werden unter anderem durch ein frühes Interesse an Nationalökonomie und Rechtswissenschaft gestellt, das vor allem sein Vater in ihm weckt. Das spätere Studium beider Fächer führt ihn an die Universität seiner Geburtsstadt Würzburg, nach Heidelberg und Berlin. Die letzten beiden Semester bis zur juristischen Abschlussprüfung verbringt er wieder in seiner Heimatstadt. Bereits zwei Jahre nach seiner bis heute viel beachteten Promotion zu den Eigentumsverhältnissen der Stadt Würzburg im April 1880 entscheidet sich Rosenthal gegen eine richterliche und für eine wissenschaftliche Laufbahn und habilitiert sich an der Juristischen Fakultät der Alma Mater Jenensis. Im selben Jahr beginnt er als Privatdozent Vorlesungen zum deutschen Privatrecht und zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte zu halten. Bei den Studierenden ist er beliebt und erarbeitet sich auch im Kollegium schnell große Anerkennung. Der Weg zu einer ordentlichen Professur ist für ihn jedoch lange Zeit mit großen Hürden verbunden. Vorbehalte schlagen ihm vor allem aufgrund seiner jüdischen Religionszugehörigkeit entgegen, über die sich die Juristische Fakultät jedoch schließlich mit seiner Berufung zum ordentlichen Professor für die Fächer Rechtswissenschaft, Staats- und Verwaltungs-, Völkerrecht sowie Rechtsgeschichte im Jahre 1896 hinwegsetzen kann. Im Juni 1896 hält Rosenthal seine akademische Antrittsvorlesung zum Thema »Naturrecht und Staatsrecht«. Fast dreißig Jahre wirkt er an der Universität Jena lehrend, forschend und beratend und vermag es in seiner Disziplin immer wieder, neue Impulse zu geben.

Vorwort zur Festschrift anlässlich Rosenthals 70. Geburtstag Als Text lesen

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Forschungsschwerpunkt: Rechtsgeschichte

Der Staatsrechtler

Das Sozialrecht – eine neue Disziplin

Durch Praxis zur Theoriebildung inspiriert

Enge Verbindung von Wirtschaft und Recht

Forschungsschwerpunkt: Rechtsgeschichte

Die genaue Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung sieht Rosenthal als wesentlich für das Verständnis des modernen öffentlichen Rechts an, weshalb es kaum überrascht, dass er sich zeitlebens intensiv mit der Rechtsgeschichte auseinandersetzte. Insbesondere seine Beschäftigung mit der Entwicklung der deutschen Städteverfassungen in Bayern zeigt Rosenthals scharfen Blick für die Geschichte des deutschen Rechts. Auf Grundlage seiner Recherchen entstehen in den 1880er Jahren Arbeiten über die Rechtsgeschichte der bayrischen Städte Landshut und Straubing (1883) und über die Behördenorganisation Kaiser Ferdinands I (1887), in der Rosenthal das Vorbild für die Verwaltungsorganisation in den deutschen Ländern sieht. 1889 und 1906 folgen zwei Bände zur Geschichte des Gerichtswesens und der Verwaltungsorganisation Bayerns.

Seine genaue Kenntnis des Stadtrechts und des Aufbaus der städtischen Verwaltung in Mittelalter und Früher Neuzeit sind für Rosenthal auch eine wichtige Inspirationsquelle für den Entwurf der ersten demokratischen Verfassung im Freistaat Thüringen (1920).

 

Der Staatsrechtler

Die industrielle Entwicklung und die damit einhergehende drastische Verschärfung der Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit stellen den Staat im ausgehenden 19. Jahrhundert vor neue Herausforderungen. Rosenthal ist vor dem Hintergrund der sich wandelnden gesellschaftlichen Zustände überzeugt, dass die neuen Aufgaben des Staates insbesondere sozialrechtlicher Natur sein müssten. So sind für ihn Arbeiterschutz, Mindestlöhne und Krankenversicherung markante Zeichen des neuen sozialen Staates. Die Menschenwürde der arbeitenden Schichten sieht er als unweigerlich mit der Teilhabe am erarbeiteten Vermögen, einem menschenwürdigen Leben sowie Bildung und Kunst verwoben.

Seine wegweisenden Gedanken zum Staatsrecht legt er in seinem Werk »Die Reichsregierung: eine staatsrechtliche und politische Studie« (1911) sowie in seiner Rede zur akademischen Preisverleihung »Der Wandel der Staatsaufgaben in der letzten Geschichtsperiode« aus dem Jahr 1913 dar. So sieht Rosenthal sowohl im religiösen Pflichtbewusstsein als auch in der Idee der Gerechtigkeit die beiden ethischen Grundströmungen, aus denen sich die Aufgaben des modernen Staates ableiten lassen. Neben dem Macht- und Rechtszweck tritt laut Rosenthal im modernen Staatsrecht der Kultur- und Wohlfahrtszweck des Staates besonders hervor.

Das Sozialrecht – eine neue Disziplin

Neues fachliches Terrain betritt Rosenthal vor allem in Fragen des Arbeits- und Sozialrechts. Hier vertritt er die Auffassung, dass die Pflichten des Unternehmers nicht allein durch Profit, sondern zugleich durch das öffentliche Interesse bedingt und entsprechend die Beziehungen zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern nach den Prinzipien der Gerechtigkeit zu gestalten sind. Ein »zügelloser Industrialismus« mache, so Rosenthal, »wohl wirtschaftlich reicher, menschlich aber ärmer«. In seinen sozialrechtlichen Vorstellungen orientiert sich Rosenthal stark am Vorbild des Physikers und Großindustriellen Ernst Abbe. Dieser findet durch die Umwandlung des Zeiss-Werkes in einen Stiftungsbetrieb eine Rechtsform für ein Großunternehmen, die eine freie Arbeitsverfassung garantiert. Aus den fortschrittlichen Überzeugungen Rosenthals resultieren seinerzeit nicht nur weitreichende Folgen für die Sozialgesetzgebung, wie bezahlter Urlaub, Abfindungen oder Ruhestandsregelungen, sie definieren zugleich das Verhältnis von Unternehmern und Arbeitern als am gemeinsamen Erfolg orientierte Interessengemeinschaft.

Dass Rosenthal es zeitlebens nicht nur vermag, bestehende soziale Missstände in seinem Wirken als Sozialrechtler aufzugreifen, sondern dabei zum Teil weit in die Moderne vorgreift, zeigt exemplarisch seine Auseinandersetzung mit dem Tarifrecht: In seiner Schrift »Die gesetzliche Regelung des Tarifvertrags« (1908) nimmt Rosenthal vorweg, was 1918 vom Rat der Volksbeauftragten in Kraft gesetzt wurde: eine gesetzlich begründete Regelung der kollektiven Lohnfindung und der gesamten Arbeitsbedingungen.

Durch Praxis zur Theoriebildung inspiriert

Auch die soziale Praxis sieht Rosenthal als eine wichtige Inspirationsquelle für seine wissenschaftliche Arbeit an. So verhelfen ihm seine ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeiten als Vorsitzender des Lesehallenvereins, als Vorsitzender der Preisprüfungsstelle während des Ersten Weltkriegs und als Berater Ernst Abbes zu Einsichten, die in seine sozialrechtlichen Arbeiten sowie in seine Vorlesungen zur Sozialpolitik einfließen. In einem Rückblick auf sein Leben schreibt Rosenthal: Mir tat es leid, daß ich erst spät in die politische Tätigkeit eintrat, denn es gibt keinen Zweig unserer Wissenschaft, der nicht durch die Berührung mit der Praxis erst lebensvolle Wirkung erzielt. Denn in meinen Vorlesungen und Übungen konnte ich nun den Hörern manches bieten, was früher eine rein theoretische Arbeit nicht zu leisten vermochte.

Auch in seinen ab 1920 entstandenen Arbeiten hat Rosenthal seine Erfahrungen als Autor der Verfassung des Freistaates Thüringen und als Abgeordneter des Thüringer Landtags verarbeitet. Sein geplantes großes Werk über das Thüringer Staats- und Verwaltungsrecht blieb jedoch ungeschrieben.

 

Enge Verbindung von Wirtschaft und Recht

Zeitlebens setzt sich Rosenthal für eine enge Verbindung von Wirtschaft und Recht ein. In dem im Jahr 1913 gegründeten Verband Recht und Wirtschaft wirbt er vor allem in den Jahren des Ersten Weltkriegs für eine engere Zusammenarbeit von Industriellen, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlern. Die rasante Entwicklung der großen Industrie müsse laut Rosenthal zu einer Erneuerung des Privatrechts und einer engeren Verbindung von Privat- und öffentlichem Recht führen. In seiner Denkschrift zur »Modernisierung der Rechtsausbildung und des Rechtslebens« aus den 1920er Jahren schreibt er, dass wirklich kompetente Führungspersönlichkeiten für Verwaltungs- und Wirtschaftspraxis einer gemeinsamen Ausbildung von Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlern bedürfen. An seiner eigenen Universität wird Rosenthal zu einem engagierten Vorkämpfer für eine Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, die im Oktober 1923 an der Universität Jena gegründet wird. In einer Feierstunde am 21. Dezember 1923 wird ihm die Urkunde zum ersten Ehrendoktor der neu gegründeten Fakultät überreicht. Die geistige Voraussicht in seinem fachlichen Denken und seine Überzeugung von der »Notwendigkeit einer Verbindung der Rechtspflege und dem Wirtschaftsleben« machen ihn über die Grenzen Jenas hinaus bald zu einem Vorreiter einer gänzlich neuen juristischen Disziplin, des Wirtschaftsrechts.